Dreizehntes Kapitel
Der Baron wurde, wir man sich leicht vorstellen kann, bei jeder Gelegenheit
gebeten, seinem Versprechen gemäß in der Erzählung seiner ebenso lehrreichen
als unterhaltenden Abenteuer fortzufahren; allein geraume Zeit waren alle
Bitten vergebens. Er hatte die sehr löbliche Gewohnheit, nichts gegen seine
Laune zu tun, und die noch löblichere, durch nichts von diesem Grundsatze sich
abbringen zu lassen. Endlich aber erschien der lange gewünschte Abend, an dem
ein heiteres Lächeln, mit dem er die Aufforderungen seiner Freunde anhörte, die
sichere Vorbedeutung gab, daß sein Genius ihm gegenwärtig sei und ihre
Hoffnungen erfüllen werde. Conticuere omnes, intentique ora tenebant
(Alle schwiegen und lauschten mit unverwendeten Blicken. Virgil), und Münchhausen
begann vom hochbepolsterten Sofa:
Während der letzten Belagerung von Gibraltar segelte ich mit einer
Proviantflotte unter Lord Rodneys Kommando nach dieser Festung, um meinen
alten Freund, den General Elliot, zu besuchen, der durch die ausgezeichnete
Verteidigung dieses Platzes sich Lorbeern erworben hat, die nie verwelken
können.
Sobald die erste Hitze der Freude, die immer mit dem Wiedersehen
alter Freunde verbunden ist, sich etwas abgekühlt hatte, ging ich in Begleitung
des Generals in der Festung umher, um den Zustand der Besatzung und die
Anstalten des Feindes kennen zu lernen. Ich hatte aus London ein sehr
vortreffliches Spiegelteleskop, das ich von Dollond gekauft hatte, mitgebracht.
Durch Hülfe desselben fand ich, daß der Feind gerade im Begriff war, einen
Sechsunddreißigpfünder auf den Fleck abzufeuern, auf dem wir standen. Ich sagte
dies dem General; er sah auch durch das Perspektiv und fand meine Mutmaßung
richtig. Auf seine Erlaubnis ließ ich sogleich einen Achtundvierzigpfünder von
der nächsten Batterie bringen und richtete ihn - denn was Artillerie betrifft,
habe ich, ohne mich zu rühmen, meinen Meister noch nicht gefunden - so genau,
daß ich meines Zieles vollkommen gewiß war.
Nun beobachtete ich die Feinde auf das schärfste, bis ich sah, daß sie die
Zündrute an das Zündloch ihres Stückes legten, und in demselben Augenblicke
gab ich das Zeichen, daß unsere Kanone gleichfalls abgefeuert werden sollte.
Ungefähr auf der Mitte des Weges schlugen die beiden Kugeln mit fürchterlicher
Stärke gegeneinander, und die Wirkung davon war erstaunend. Die feindliche Kugel
prallte mit solcher Heftigkeit zurück, daß sie nicht nur dem Manne, der sie
abgeschossen hatte, rein den Kopf wegnahm, sondern auch noch sechzehn andere
Köpfe vom Rumpfe schnellte, die ihr auf ihrem Fluge nach der afrikanischen Küste
im Wege standen.
Ehe sie aber nach der Barbarei kam, fuhr sie durch die Hauptmaste von drei
Schiffen, die eben in einer Linie hintereinander im Hafen lagen; und dann flog
sie noch gegen zweihundert englische Meilen in das Land hinein, schlug zuletzt
durch das Dach einer Bauerhütte, brachte ein altes Mütterchen, die mit offenem
Munde auf dem Rücken lag und schlief, um die wenigen Zähne, die ihr noch übrig
waren, und blieb endlich in der Kehle des armen Weibes stecken.
Ihr Mann, der
bald darauf nach Hause kam, versuchte die Kugel herauszuziehen; da er dies aber
unmöglich fand, so entschloß er sich kurz und stieß sie ihr mit einem Rammer in
den Magen hinunter, aus dem sie dann auf dem natürlichen Wege unterwärts abging.
Unsere Kugel tat vortreffliche Dienste. Sie trieb nicht nur die andere auf die
eben beschriebene Weise zurück, sondern setzte auch, meiner Absicht gemäß, ihren
Weg fort, hob dieselbe Kanone, die gerade gegen uns gebraucht worden war, von
der Lafette und warf sie mit solcher Heftigkeit in den Kielraum eines Schiffes,
daß sie sogleich den Boden desselben durchschlug. Das Schiff schöpfte Wasser und
sank mit tausend spanischen Matrosen und einer beträchtlichen Anzahl Soldaten,
die sich auf demselben befanden, unter. - Dies war gewiß eine höchst
außerordentliche Tat.
Ich verlange indes keinesweges sie ganz auf die Rechnung
meines Verdienstes zu setzen. Meiner Klugheit kommt freilich die Ehre der
ersten Erfindung zu, aber der Zufall unterstützte sie einigermaßen. Ich fand
nämlich nachher, daß unser Achtundvierzigpfünder durch ein Versehen auf eine
doppelte Portion Pulver gesetzt war, wodurch allein seine unerwartete Wirkung
vorzüglich in Absicht der zurückgeworfenen feindlichen Kugel begreiflich wird.
General Elliot bot mir für diesen ausnehmenden Dienst eine Offizierstelle an; ich
lehnte aber alles ab und begnügte mich mit seinem Danke, den er mir denselben
Abend an der Tafel in Gegenwart aller Offiziere auf die ehrenvollste Weise
abstattete.
Da ich sehr für die Engländer eingenommen bin, weil sie unstreitig ein vorzüglich
braves Volk sind, so machte ich mir es zum Gesetze, die Festung nicht zu
verlassen, bis ich ihnen noch einen Dienst würde geleistet haben; und in
ungefähr drei Wochen bot sich mir eine gute Gelegenheit dazu dar.
Ich kleidete mich wie ein katholischer Priester, schlich um ein Uhr des Morgens
mich aus der Festung weg und kam glücklich durch die Linien der Feinde mitten
in ihrem Lager an. Dort ging ich in das Zelt, in welchem der Graf von Artois
mit dem ersten Befehlshaber und verschiedenen andern Offizieren einen Plan
entwarfen, die Festung den nächsten Morgen zu stürmen. Meine Verkleidung war
mein Schutz. Niemand wies mich zurück, und ich konnte ungestört alles anhören,
was vorging. Endlich begaben sie sich zu Bette, und nun fand ich das ganze
Lager, selbst die Schildwachen, in dem tiefsten Schlafe begraben.
Sogleich
fing ich meine Arbeit an, hob alle ihre Kanonen, über dreihundert Stück, von
den Achtundvierzigpfündern bis zu den Vierundzwanzigpfündern herunter, von den
Lafetten und warf sie drei Meilen weit in die See hinaus. Da ich ganz und gar
keine Hülfe hatte, so war dies das schwerste Stück Arbeit, das ich je
unternommen hatte, eines etwa ausgenommen, das, wie ich höre, Ihnen neulich in
meiner Abwesenheit einer meiner Bekannten zu erzählen für gut fand, da ich
nämlich mit den ungeheueren, von dem Baron von Tott beschriebenen türkischen
Geschütze an das gegenseitige Ufer des Meeres schwamm. - Sobald ich damit fertig
war, schleppte ich alle Lafetten und Karren in die Mitte des Lagers, und damit
das Rasseln der Räder kein Geräusch machen möchte, so trug ich sie paarweise
unter meinen Armen zusammen.
- Ein herrlicher Haufe war es, wenigstens so hoch
als der Felsen von Gibraltar. - Dann schlug ich mit dem abgebrochenen Stücke
eines eisernen Achtundvierzigpfünders an einem Kiesel, der zwanzig Fuß unter der
Erde in einer noch von den Arabern gebauten Mauer steckte, Feuer, zündete eine
Lunte an und setzte den ganzen Haufen in Brand. Ich vergaß Ihnen zu sagen, daß
ich erst noch obenauf alle Kriegsvorratswagen geworfen hatte.
Was am brennbarsten war, hatte ich klüglich unten hingelegt, und so war nun in
einem Augenblicke alles eine lichterlohe Flamme. Um allem Verdacht zu entgehen,
war ich einer der ersten, der Lärmen machte. Das ganze Lager geriet, wie Sie
sich vorstellen können, in das schrecklichste Erstaunen, und der allgemeine
Schluß war, daß die Schildwachen bestochen und sieben oder acht Regimenter aus
der Festung zu dieser greulichen Zerstörung ihrer Artillerie gebraucht worden
wären. Herr Drinkwater erwähnt in seiner Geschichte dieser berühmten Belagerung
eines großen Verlustes, den die Feinde durch einen im Lager entstandenen Brand
erlitten hätten, weiß aber im geringsten nicht die Ursache desselben anzugeben.
Und das konnte er auch nicht; denn ich entdeckte die Sache noch keinem Menschen
(obgleich ich allein durch die Arbeit dieser Nacht Gibraltar rettete), selbst
dem General Elliot nicht. Der Graf von Artois lief nebst allen seinen Leuten
im ersten Schrecken davon, und ohne einmal stillezuhalten, liefen sie ungefähr
vierzehn Tage in einem fort, bis sie Paris erreichten. Auch machte die Angst,
die sich ihrer bei diesem fürchterlichen Brande bemächtigt hatte, daß sie drei
Monate nicht imstande waren, die geringste Erfrischung zu genießen, sondern
chamäleonmäßig bloß von der Luft lebten.
Etwa zwei Monate, nachdem ich den Belagerten diesen Dienst getan hatte, saß ich
eines Morgens mit dem General Elliot beim Frühstücke, als auf einmal eine Bombe
(denn ich hatte nicht Zeit, ihre Mörser ihren Kanonen nachzuschicken) in das
Zimmer flog und auf den Tisch niederfiel. Der General, wie fast jeder getan
haben würde, verließ das Zimmer augenblicklich, ich aber nahm die Bombe, ehe
sie sprang, und trug sie auf die Spitze des Felsen.
Von hier aus sahe ich auf
einem Hügel der Seeküste unweit des feindlichen Lagers eine ziemliche Menge
Leute, konnte aber mit bloßen Augen nicht entdecken, was sie vorhatten. Ich nahm
also mein Teleskop zu Hülfe und fand nun, daß zwei von unseren Offizieren, einer
ein General und der andere ein Oberster, die noch den vorigen Abend mit mir
zugebracht und sich um Mitternacht als Spione in das spanische Lager geschlichen
hatten, dem Feinde in die Hände gefallen waren und eben gehängt werden sollten.
Die Entfernung war zu groß, als daß ich die Bombe aus freier Hand hätte
hinwerfen können. Glücklicherweise fiel mir bei, daß ich die Schleuder in der
Tasche hatte, die David weiland so vorteilhaft gegen den Riesen Goliath
gebrauchte.
Ich legte meine Bombe hinein und schleuderte sie sogleich mitten
in den Kreis. Sowie sie niederfiel, sprang sie auch und tötete alle Umstehenden,
ausgenommen die beiden englischen Offiziere, die zu ihrem Glücke gerade in die
Höhe gezogen waren. Ein Stück der Bombe flog indessen gegen den Fuß des Galgens,
der dadurch sogleich umfiel. Unsere beiden Freunde fühlten kaum
terra firma, als sie sich nach dem Grunde dieser unerwarteten
Katastrophe umsahen, und da sie fanden, daß Wache, Henker und alles den
Einfall gekriegt hatte, zuerst zu sterben, so machten sie einander von ihren
unbehaglichen Stricken los, liefen nach dem Seeufer, sprangen in ein spanisches
Boot und nötigten die beiden Leute, die darin waren, sie nach einem unserer
Schiffe zu rudern. Wenige Minuten nachher, da ich gerade dem General Elliot
die Sache erzählte, kamen sie glücklich an, und nach gegenseitigem Erklärungen
und Glückwünschen feierten wir diesen merkwürdigen Tag auf die froheste Art
von der Welt.
Sie wünschen alle, meine Herren, ich sehe es Ihnen an den Augen an, zu hören, wie
ich an einen so großen Schatz, als die gedachte Schleuder war, gekommen sei.
Wohl! die Sache hängt so zusammen. Ich stamme, müssen Sie wissen, von der Frau
des Urias ab, mit der David bekanntlich in sehr enger Verbindung lebte.
Mit der
Zeit aber - wie dies manchmal der Fall ist - wurden Seine Majestät merklich
kälter gegen die Gräfin, denn dazu wurde sie im ersten Vierteljahre nach ihres
Mannes Tod gemacht. Sie zankten sich einmal über einen sehr wichtigen Punkt,
nämlich über den Fleck, wo Noahs Arche gebaut wurde und wo sie nach der Sündflut
stehen blieb. Mein Stammvater wollte für einen großen Altertumskundigen gelten,
und die Gräfin war Präsidentin einer historischen Sozietät. Dabei hatte er die
Schwäche mehrerer großen Herren und fast aller kleinen Leute, er konnte keinen
Widerspruch ertragen; und sie hatte den Fehler ihres Geschlechts, sie wollte in
allen Dingen recht behalten; kurz, es erfolgte eine Trennung. Sie hatte ihn oft
von jener Schleuder als einem sehr großen Schatze sprechen hören und fand für
gut, sie, zum Andenken wahrscheinlich, mitzunehmen. Ehe sie aber noch aus seinen
Staaten war, wurde die Schleuder vermißt, und nicht weniger als sechs Mann von
der Leibwache des Königs setzten ihr nach. Sie bediente sich indes des
mitgenommenen Instruments so gut, daß sie einen ihrer Verfolger, der sich durch
seinen Diensteifer vielleicht heben wollte und daher etwas vor den andern voraus
war, gerade auf den Fleck traf, wo Goliath seine tödliche Quetschung gekriegt
hatte. Als seine Gefährten ihn tot zur Erde stürzen sahen, hielten sie es nach
langer weiser Überlegung für das beste, diesen neu eingetretenen Umstand fürs
erste gehörigen Ortes zu melden, und die Gräfin hielt es für das beste, mit
untergelegten Pferden ihre Reise nach Ägypten fortzusetzen, wo sie sehr
angesehene Freunde am Hofe hatte.
- Ich hätte Ihnen vorher schon sagen sollen,
daß sie von mehreren Kindern, die Seine Majestät mit ihr zu zeugen geruhet
hatten, bei ihrer Entfernung einen Sohn, der ihr Liebling war, mit sich nahm.
Da diesem das fruchtbare Ägypten noch einige Geschwister gab, so vermachte sie
ihm durch einen besondern Artikel ihres Testamentes die berühmte Schleuder; und
von ihm kam sie in meist gerader Linie endlich auf mich.
Einer ihrer Besitzer, mein Ururgroßvater, der vor ungefähr zweihundertundfunfzig
Jahren lebte, wurde bei einem Besuche, den er in England machte, mit einem
Dichter bekannt, der zwar nichts weniger als Plagiarius, aber ein desto größerer
Wilddieb war und Shakespear hieß. Dieser Dichter, in dessen Schriften jetzt, zur
Wiedervergeltung vielleicht, von Engländern und Deutschen abscheulich
gewilddiebt wird, borgte manchmal diese Schleuder und tötete damit so viel von
Sir Thomas Lucys Wildbret, daß er mit genauer Not dem Schicksale meiner zwei
Freunde zu Gibraltar entging.
Der arme Mann wurde ins Gefängnis geworfen, und
mein Ältervater bewirkte seine Freiheit auf eine ganz besondere Art. Die Königin
Elisabeth, die damals regierte, wurde, wie Sie wissen, in ihren letzten Jahren
ihrer selbst überdrüssig. Ankleiden, Auskleiden, Essen, Trinken und manches
andere, was ich nicht zu nenncn brauche, machten ihr das Leben zur unerträglichen
Last. Mein Ältervater setzte sie in den Stand, alles dies nach ihrer Willkür
ohne oder durch einen Stellvertreter zu tun. Und was meinen Sie, daß er für
dieses ganz unvergleichliche Meisterstück magischer Kunst sich ausbat?
- Shakespears Freiheit. - Weiter konnte ihm die Königin nicht das geringste
aufdringen. Die ehrliche Haut hatte diesen großen Dichter so liebgewonnen,
daß er gern von der Anzahl seiner Tage etwas abgegeben hätte, um das Leben
seines Freundes zu verlängern.
Übrigens kann ich Ihnen, meine Herren, versichern, daß die Methode der Königin
Elisabeth, gänzlich ohne Nahrung zu leben, so originell sie auch war, bei ihren
Untertanen sehr wenig Beifall gefunden hat, am wenigsten bei den beef-eaters
(Rindfleischfresser. Ein Name der - nicht selten von solchen, die gerne Rindfleisch
äßen und aus ökonomischen Gründen nicht dürfen - der
königlichen Garde gegeben wird),
wie man sie gewöhnlich noch heutigestages nennt. Sie überlebte aber selbst ihre
neue Sitte nicht über achthalb Jahr.
Mein Vater, von dem ich diese Schleuder kurz vor meiner Reise nach Gibraltar
geerbt habe, erzählte mir folgende merkwürdige Anekdote, die auch seine Freunde
öfters von ihm gehört haben und an deren Wahrhcit niemand zweifeln wird, der den
ehrlichen Alten gekannt hat.
"Ich hielt mich", sagte er, "bei meinen Reisen geraume Zeit in England auf
und ging einstens an dem Ufer der See unweit Harwich spazieren. Plötzlich kam
ein grimmiges Seepferd in äußerster Wut auf mich los. Ich hatte nichts als die
Schleuder bei mir, mit der ich dein Tier so geschickt zwei Kieselsteine gegen
den Kopf warf, daß ich mit jedem ein Auge des Ungeheuers einschlug. Darauf stieg
ich auf seinen Rücken uiid trieb es in die See; denn in demselben Augenblick, in
dem es sein Gesicht verlor, verlor es auch seine Wildheit und wurde so zahm als
möglich. Meine Schleuder legte ich ihm statt des Zaumes in den Mund und ritt es
nun mit der größten Leichtigkeit durch den Ozean hin. In weniger als drei
Stunden kamen wir beide an dem entgegengesetzten Ufer an, welches doch immer
eine Strecke von ungefähr dreißig Seemeilen ist. Zu Helvoetsluys verkaufte ich
es für siebenhundert Dukaten an den Wirt zu den drei Kelchen, der es als ein
äußerst seltenes Tier sehen ließ und sich schönes Geld damit machte."
- Jetzt findet man eine Abbildung davon im Buffon.
- "So sonderbar die Art meiner Reise war," fuhr mein Vater fort, "so waren
doch die Bemerkungen und Entdeckungen, die ich auf derselben machte, noch viel
außerordentlicher.
Das Tier, auf dessen Rücken ich saß, schwamm nicht, sondern
lief mit unglaublicher Geschwindigkeit auf dem Grunde des Meeres weg und trieb
Millionen von Fischen vor sich her, von denen viele ganz verschieden von den
gewöhnlichen waren. Einige hatten den Kopf in der Mitte des Leibes, andere an
der Spitze des Schwanzes. Einige saßen in einem großen Zirkel beisammen und
sangen unaussprechlich schöne Chöre; andere baueten aus bloßem Wasser die
prächtigsten durchsichtigen Gebäude auf, die mit kolossalischen Säulen umgeben
waren, in welchen eine Materie, die ich für nichts anders als für das reinste
Feuer halten konnte, in den angenehmsten Farben und in den reizendsten
wellenförmigen Bewegungen hin und wieder lief. Verschiedene Zimmer dieser
Gebäude waren auf eine sehr sinnreiche und bequeme Art zur Begattung der
Fische eingerichtet; in andern wurde der zarte Laich gepflegt und gewartet;
und eine Reihe weitläuftiger Säle war zur Erziehung der jungen Fische bestimmt.
Das Äußere der Methode, die hier beobachtet wurde - denn das Innere derselben
verstand ich natürlicherweise ebensowenig als den Gesang der Vögel oder die
Dialogen der Heuschrecken -, hatte so auffallende Ähnlichkeit mit dem, was
ich in meinem Alter in den sogenannten Philanthropinen und dergleichen Anstalten
eingeführt fand, daß ich ganz gewiß bin, einer ihrer angeblichen Erfinder
hat eine der meinigen ährdiche Reise gemacht und seine Ideen mehr aus dem Wasser
geholt als aus der Luft gegriffen. Übrigens sehen Sie aus dem wenigen, was ich
Ihnen gesagt habe, daß noch manches ungenutzt, noch manche Spekulation übrig
ist. - Doch ich fahre in meiner Erzählung fort.
"Ich kam unter andern über eine ungeheuere Gebirgkette hin, die wenigstens so
hoch war als die Alpen. An der Seite der Felsen war eine Menge großer Bäume von
mannigfaltiger Art. Auf diesen wuchsen Hummer, Krebse, Austern, Kammaustern,
Muscheln, Seeschnekken usw., von denen bisweilen ein einziges Stück eine Ladung
für einen Frachtwagen war, und an der kleinsten hätte ein Lastträger zu
schleppen gehabt. - Alles, was von der Art an die Ufer geworfen und auf unsern
Märkten verkauft wird, ist elendes Zeug, das das Wasser von den Ästen abschlägt,
ungefähr so wie das kleine schlechte Obst, das der Wind von den Bäumen
herunterweht. - Die Hummerbäume schienen am vollesten zu sitzen; die Krebs-
und Austerbäume aber waren die größten. Die kleinen Seeschnecken wachsen auf
einer Art von Sträuchern, die immer an dem Fuß der Austerbäume stehen und sich
fast so wie der Efeu an der Eiche an ihnen hinaufwinden. Auch bemerkte ich eine
sehr sonderbare Wirkung eines untergegangenen Schiffes. Dies war, wie mir
schien, gegen die Spitze eines Felsen, der nur drei Klafter unter der Oberfläche
des Wassers war, gestoßen und beim Sinken umgeschlagen. Dadurch stürzte es auf
einen großen Hummerbaum und stieß verschiedene Hummer ab, die auf einen
darunterstehenden Krebsbaum fielen. Weil die Sache nun wahrscheinlich im
Frühjahre geschah und die Hummer noch ganz jung waren, so vereinigten sie sich
mit den Krebsen und brachten eine neue Frucht hervor, die mit beiden Ähnlichkeit
hat. Ich versuchte der Seltenheit wegen ein Stück davon mitzunehmen, aber
teils war es mir zu beschwerlich, teils wollte mein Pegasus nicht gerne
stillehalten; auch hatte ich schon über die Hälfte meines Weges zurückgelegt
und war gerade in einem Tale wenigstens fünfhundert Klafter unter der
Meeresfläche, wo ich den Mangel der Luft allmählich etwas unbequem fand.
Übrigens war meine Lage auch in andern Rücksichten nicht die angenehmste.
Ich begegnete von Zeit zu Zeit großen Fischen, die, soviel ich aus ihren
offenen Rachen abnehmen konnte, eben nicht ungeneigt waren, uns beide zu
verschlingen.
Nun war meine arme Rosinante blind, und es beruhte einzig auf
meiner vorsichtigen Führung, daß ich den menschenfreundlichen Absichten dieser
hungrigen Herren entging. Ich galoppierte also weidlich zu und suchte so bald
wie möglich wieder trockenes Land zu gewinnen.
»Als ich dem holländischen Ufer schon ziemlich nahe war und das Wasser über
meinem Kopfe keine zwanzig Klafter mehr hoch sein mochte, so kam es mir vor, als
läge eine menschliche Gestalt in weiblicher Kleidung vor mir auf dein Sande. Ich
glaubte einige Zeichen des Lebens an ihr zu bemerken, und als ich näher kam, sah
ich auch wirklich, daß sie ihre Hand bewegte. Ich faßte diese an und brachte die
Person als eine anscheinende Leiche mit mir an das Ufer. Ob man nun gleich damals
in der Kunst Tote zu erwecken noch nicht so weit gekommen war, daß man so wie in
unseren Tagen auf jeder Dorfschenke eine Anweisung vorfand, Ertrunkene wieder aus
dem Reiche der Schatten zurückzurufen, so gelang es doch den klugen und
unermüdeten Bemühungen eines dortigen Apothekers, den kleinen Funken des Lebens,
den er in dieser Frau noch übrig fand, wieder anzumachen. Sie war die teuere
Hälfte eines Mannes, der ein nach Helvoetsluys gehöriges Schiff kommandierte und
kurz vorher aus dem Hafen abgefahren war. Unglücklicherweise hatte er in der
Eile eine andere Person anstatt seiner Frau mitgenommen. Dies wurde ihr sogleich
von einer der wachsamen Schutzgöttinnen des häuslichen Friedens hinterbracht,
und weil sie fest überzeugt war, daß die Rechte des Ehebettes zu Wasser so
gültig wären als zu Lande, so fuhr sie ihm wütend von Eifersucht in einem
offenen Boote nach und suchte, sobald sie auf das Oberlof seines Schiffes
gekommen war, nach einer kurzen unübersetzbaren Anrede, ihre Gerechtsams auf
eine so triftige Art zu beweisen, daß ihr lieber Getreuer es für ratsam fand,
ein paar Schritte zurückzutun. Die traurige Folge davon war, daß ihre knöcherne
Rechte den Eindruck, der den Ohren ihres Mannes zugedacht war, auf die Wellen
machte, und da diese noch nachgebender waren als er, so fand sie erst auf dem
Grunde der See den Widerstand, den sie suchte. - Hier brachte mich nun mein
Unstern mit ihr zusammen, um ein glückliches Paar auf Erden mehr zu machen.
"Ich kann mir leicht vorstellen, was für Segenswünsche mir ihr Herr Gemahl
nachgeschickt hat, als er bei seiner Rückkunft fand, daß sein zärtliches
Weibchen, durch mich gerettet, seiner harre. Indes so schlimm auch immer der
Streich sein mag, den ich dem armen Teufel gespielt habe, so war mein Herz
doch außer aller Schuld. Der Bewegungsgrund meiner Handlung war reine, klare
Menschenliebe, obgleich, wie ich nicht leugnen kann, die Folgen davon für ihn
schrecklich sein mußten."
Und so weit, meine Herren, geht die Erzählung meines Vaters, an die ich durch die
berühmte Schleuder erinnert wurde, die leider, nachdem sie sich so lange bei
meiner Familie erhalten und ihr viele wichtige Dienste geleistet hatte, in dem
Rachen des Seepferdes ihren Rest gekriegt zu haben scheint. Wenigstens habe ich
den einzigen Gebrauch davon gemacht, den ich Ihnen erzählt habe, daß ich den
Spaniern eine ihrer Bomben uneröffnet wieder zurückschickte und dadurch meine
zwei Freunde vom Galgen rettete. Bei dieser edlen Anwendung wurde meine
Schleuder, die vorher schon etwas mürbe war, vollends aufgeopfert. Das größte
Teil davon flog mit der Bombe weg, und das übrige kleine Stückchen, das mir in
der Hand blieb, liegt jetzt in unserm Familienarchiv, wo es nebst mehreren
wichtigen Altertümern zu ewigem Andenken aufbewahret wird.
Bald darauf verließ ich Gibraltar wieder und kehrte nach England zurück. Dort
begegnete mir einer der sonderbarsten Streiche meines ganzen Lebens. Ich mußte
nach Wapping hinuntergehen, um verschiedene Sachen einschiffen zu sehen, die ich
einigen meiner Freunde in Hamburg schicken wollte, und als ich damit fertig war,
nahm ich meinen Rückweg über den Tower Wharf.
Es war Mittag; ich war schrecklich müde, und die Sonne wurde mir so lästig, daß
ich in eine von den Kanonen hineinkroch, um dort ein bißchen auszuruhen. Kaum
war ich darin, so fiel ich auch sogleich in den tiefsten Schlaf. Nun war es
gerade der vierte Junius (Der Geburtstag des regierenden Könings), und um ein Uhr wurden alle Kanonen zum Andenken
dieses Tages abgefeuert. Sie waren am Morgen geladen, und da niemand mich hier
vermuten konnte, so wurde ich über die Häuser an der entgegengesetzten Seite
des Flusses weg in den Hof eines Pächters zwischen Berinondsey und Deptford
geschossen. Hier fiel ich auf einen großen Heuhaufen nieder und blieb - wie aus
der großen Betäubung leicht begreiflich wird -, ohne aufzuwachen, liegen.
Ungefähr nach drei Monaten wurde das Heu so erschrecklich teuer, daß der Pächter
einen guten Schnitt zu machen dachte, wenn er jetzt seinen Vorrat losschlüge.
Der Haufen, auf dem ich lag, war der größte auf dem Hofe und hielt wenigstens
fünfhundert Fuder. Mit ihm wurde also bei dem Aufladen der Anfang gemacht. Durch
den Lärmen der Leute, die ihre Leitern angelegt hatten und auf den Haufen
hinaufsteigen wollten, wachte ich auf, noch halb im Schlafe und ohne im
geringsten zu wissen, wo ich war, wollte ich weglaufen und stürzte herunter auf
den Eigentümer des Heus. Ich selbst litt durch diesen Fall nicht den geringsten
Schaden, der Pächter aber einen desto größern; er blieb tot unter mir liegen,
denn ich hatte unschuldigerweise ihm das Genick gebrochen. Zu meiner großen
Beruhigung hörte ich nachher, daß der Kerl ein abscheulicher Jude war, der immer
mit den Früchten seiner Ländereien so lange zurückhielt, bis erst bittere
Teuerung einriß und er mit übermäßigem Profite sie verkaufen konnte, so daß also
sein gewaltsamer Tod für ihn gerechte Strafe und für das Publikum wahre Wohltat
war.
Wie sehr ich übrigens erstaunte, als ich wieder völlig zu mir selbst kam und nach
langem Besinnen meine gegenwärtigen Gedanken an die anknüpfte, mit denen ich vor
drei Monaten eingeschlafen war, und wie groß die Verwunderung meiner Freunde in
London war, als ich nach vielen vergeblichen Nachforschungen auf einmal wieder
erschien - das können Sie, meine Herren, sich leicht vorstellen.
Nun lassen Sie uns erst ein Gläschen trinken, und dann erzähle ich Ihnen noch ein
paar meiner Seeabenteuer.
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