Sechstes Kapitel
Gleich die erste Reise, die ich in meinem Leben machte, geraume Zeit vor der
russischen, von der ich eben einige Merkwürdigkeiten erzählt habe, war eine
Reise zur See.
Ich stand, wie mein Onkel, der schwarzbartigste Husarenoberste, den ich je
gesehen habe, mir oft zuzuschnurren pflegte, noch mit den Gänsen im Prozesse,
und man hielt es noch für unentschieden, ob der weiße Flaum an meinem Kinne
Keim von Dunen oder von einem Barte wäre, als schon Reisen das einzige
Dichten und Trachten meines Herzens war. Da mein Vater teils selbst ein
ehrliches Teil seiner früheren Jahre mit Reisen zugebracht hatte, teils
manchen Winterabend durch die aufrichtige und ungeschminkte Erzählung seiner
Abenteuer verkürzte, von denen ich Ihnen vielleicht in der Folge noch einige
zum besten gebe, so kann man jene Neigung bei mir wohl mit ebenso gutem Grunde
für angeboren als für eingeflößet halten.
Genug, ich ergriff jede Gelegenheit,
die sich anbot oder nicht anbot, meiner unüberwindlichen Begierde, die Welt
zu sehen, Befriedigung zu erbetteln oder zu ertrotzen; allein vergebens.
Gelang es mir auch einmal, bei meinem Vater eine kleine Bresche zu machen,
so taten Mama und Tante desto heftigeren Widerstand, und in wenigen
Augenblicken war alles, was ich durch die überlegtesten Angriffe gewonnen
hatte, wieder verloren. Endlich fügte sichs, daß einer meiner mütterlichen
Verwandten uns besuchte. Ich wurde bald sein Liebling: er sagte mir oft,
ich wäre ein hübscher, munterer Junge, und er wolle alles mögliche tun,
mir zur Erfüllung meines sehnlichsten Wunsches behilflich zu sein. Seine
Beredsamkeit war wirksamer als die meinige, und nach vielen Vorstellungen
und Gegenvorstellungen, Einwendungen und Widerlegungen wurde endlich zu
meiner unaussprechlichen Freude beschlossen, daß ich ihn auf einer Reise
nach Ceylon, wo sein Onkel viele Jahre Gouverneur gewesen war, begleiten
sollte.
Wir segelten mit wichtigen Aufträgen Ihrer Hochmögenden, der Staaten von
Holland, von Amsterdam ab. Unsere Reise hatte, wenn ich einen
außerordentlichen Sturm abrechne, nichts Besonderes.
Dieses Sturmes aber muß
ich seiner wunderbaren Folgen wegen mit ein paar Worten gedenken. Er nahm
sich auf, gerade als wir bei einer Insel vor Anker lagen, um uns mit Holz
und Wasser zu versorgen, und tobte mit solcher Heftigkeit, daß er eine große
Menge Bäume von ungeheuerer Dicke und Höhe mit der Wurzel aus der Erde riß
und durch die Luft schleuderte. Ungeachtet einige dieser Bäume mehrere
hundert Zentner schwer waren, so sahen sie doch wegen der unermeßlichen Höhe
- denn sie waren wenigstens fünf Meilen über der Erde - nicht größer aus
als kleine Vogelfederchen, die bisweilen in der Luft umherfliegen. Indes,
sowie der Orkan sich legte, fiel jeder Baum senkrecht in seine Stelle und
schlug sogleich wieder Wurzel, so daß kaum eine Spur der Verwüstung zu sehen
war. Nur der größte machte hievon eine Ausnahme. Als er durch die plötzliche
Gewalt des Sturmes aus der Erde ausgerissen wurde, saß gerade ein Mann mit
seinem Weibe auf den Ästen desselben und pflückte Gurken; denn in diesem
Teile der Welt wächset diese herrliche Frucht auf Bäumen. Das ehrliche Paar
machte so geduldig als Blanchards Hammel die Luftreise mit, veranlaßte aber
durch seine Schwere, daß der Baum sowohl von seiner Richtung gegen seinen
vorigen Platz abwich, als auch in einer horizontalen Lage herunterkam.
Nun
hatte, so wie die meisten Einwohner dieser Insel, auch ihr allergnädigster
Kazike während des Sturms seine Wohnung verlassen, aus Furcht, unter den
Trümmern derselben begraben zu werden, und wollte gerade wieder durch seinen
Garten zurückgehen, als dieser Baum herniedersausete und ihn, glücklicherweise,
auf der Stelle totschlug.
- "Glücklicherweise?" -
Ja, ja, glücklicherweise. Denn, meine Herren, der Kazike war, mit Erlaubnis
zu melden, der abscheulichste Tyrann, und die Einwohner der Insel, selbst
seine Günstlinge und Mätressen nicht ausgenommen, die elendesten Geschöpfe
unterm Monde. In seinen Vorratshäusern verfaulten die Lebensmittel, während
seine Untertanen, denen sie abgepreßt waren, vor Hunger verschmachteten.
Seine Insel hatte keinen auswärtigen Feind zu fürchten; dessenungeachtet
nahm er jeden jungen Kerl weg, prügelte ihn höchsteigenhändig zum Helden
und verkaufte von Zeit zu Zeit seine Kollektion dem meistbietenden
benachbarten Fürsten, um zu den Millionen Muscheln, die er von seinem Vater
geerbt hatte, neue Millionen zu legen. - Man sagte uns, er habe diese
unerhörten Grundsätze von einer Reise, die er nach dem Norden gemacht habe,
mitgebracht; eine Behauptung, auf deren Widerlegung wir uns, alles
Patriotismus ungeachtet, schon deswegen nicht einlassen konnten, weil bei
diesen Insulanern eine Reise nach dem Norden ebensowohl eine Reise nach den
Kanarischen Inseln als eine Spazierfahrt nach Grönland bedeutet; und eine
bestimmtere Erklärung mochten wir aus mehreren Gründen nicht verlangen.
Zur Dankbarkeit für den großen Dienst, den das gurkenpflückende Paar, obgleich
nur zufälligerweise, seinen Mitbürgern erwiesen hatte, wurde es von diesen
auf den erledigten Thron gesetzt.
Zwar waren diese guten Leutchen auf ihrer
Luftfahrt dem großen Lichte der Welt so nahe gekommen, daß sie das Licht
ihrer Augen und überdies eine kleine Portion ihres innern Lichtes dabei
zugesetzt hatten; allein nichtsdestoweniger regierten sie so löblich, daß,
wie ich in der Folge erfuhr, niemand Gurken aß, ohne zu sprechen: Gott erhalte
den Kaziken.
Nachdem wir unser Schiff, das von diesem Sturme nicht wenig beschädigt war,
wieder ausgebessert und uns von dem neuen Monarchen und seiner Gemahlin
beurlaubt hatten, segelten wir mit ziemlichem Winde ab und kamen nach sechs
Wochen glücklich zu Ceylon an.
Es mochten ungefähr vierzehn Tage seit unserer Ankunft verstrichen sein,
als mir der älteste Sohn des Gouverneurs den Vorschlag tat, mit ihm auf die
Jagd zu gehen, den ich auch herzlich gern annahm. Mein Freund war ein großer,
starker Mann und an die Hitze jenes Klima gewöhnt; ich aber wurde in kurzer
Zeit und bei ganz mäßiger Bewegung so matt, daß ich, als wir in den Wald
gekommen waren, weit hinter ihm zurückblieb.
Ich wollte mich eben an dem Ufer eines reißenden Stromes, der schon einige
Zeit meine Aufmerksamkeit beschäftigt hatte, niedersetzen, um mich etwas
auszuruhen, als ich auf einmal auf dem Wege, den ich gekommen war, ein Geräusch
hörte.
Ich sah zurück und wurde fast versteinert, als ich einen ungeheueren
Löwen erblickte, der gerade auf mich zukam und mich nicht undeutlich merken
ließ, daß er gnädigst geruhe, meinen armen Leichnam zu seinem Frühstücke zu
machen, ohne sich nur meine Einwilligung auszubitten. Meine Flinte war bloß
mit Hasenschrot geladen. Langes Besinnen erlaubte mir weder die Zeit noch
meine Verwirrung. Doch entschloß ich mich, auf die Bestie zu feueren, in der
Hoffnung, sie zu schrecken, vielleicht auch zu verwunden. Allein da ich in
der Angst nicht einmal wartete, bis mir der Löwe zum Schusse kam, so wurde er
dadurch wütend gemacht und kam nun mit aller Heftigkeit auf mich los. Mehr aus
Instinkt als aus vernünftiger Überlegung versuchte ich eine Unmöglichkeit -
zu entfliehen. Ich kehrte mich um, und - mir läuft noch, sooft ich daran
gedenke, ein kalter Schauder über den Leib - wenige Schritte vor mir steht ein
scheußlicher Krokodil, der schon fürchterlich seinen Rachen aufsperrte, um
mich zu verschlingen.
Stellen Sie sich, meine Herren, das Schreckliche meiner Lage vor! Hinter mir
der Löwe, vor mir der Krokodil, zu meiner Linken ein reißender Strom, zu meiner
Rechten ein Abgrund, in dem, wie ich nachher hörte, die giftigsten Schlangen
sich aufhielten.
Betäubt - und das war einem Herkules in dieser Lage nicht übelzunehinen -
stürze ich zu Boden. Jeder Gedanke, den meine Seele noch vermochte, war die
schreckliche Erwartung, jetzt die Zähne oder Klauen des wütenden Raubtiers
zu fühlen oder in dem Rachen des Krokodils zu stecken. Doch in wenigen
Sekunden hörte ich einen starken, aber durchaus fremden Laut. Ich wage es
endlich, meinen Kopf aufzuheben und mich umzuschauen, und - was meinen Sie?
- zu meiner unaussprechlichen Freude finde ich, daß der Löwe in der Hitze,
in der er auf mich losschoß, in ebendem Augenblicke, in dem ich niederstürzte,
über mich weg in den Rachen des Krokodils gesprungen war. Der Kopf des einen
steckte nun in dem Schlunde des andern, und sie strebten mit aller Macht,
sich voneinander loszumachen.
Gerade noch zu rechter Zeit sprang ich auf, zog
meinen Hirschfänger, und mit einem Streiche haute ich den Kopf des Löwen ab,
so daß der Rumpf zu meinen Füßen zuckte. Darauf rammte ich mit dem untern
Ende meiner Flinte den Kopf noch tiefer in den Rachen des Krokodils, das nun
jämmerlich ersticken mußte.
Bald nachdem ich diesen vollkommenen Sieg über zwei fürchterliche Feinde
erfochten hatte, kam mein Freund, um zu sehen, was die Ursache meines
Zurückbleibens wäre.
Nach gegenseitigem Glückwünschen maßen wir den Krokodil und fanden ihn genau
vierzig Pariser Fuß sieben Zoll lang.
Sobald wir dem Gouverneur dieses außerordentliche Abenteuer erzählet hatten,
schickte er einen Wagen mit einigen Leuten aus und ließ die beiden Tiere nach
seinem Hause holen. Aus dem Felle des Löwen mußte mir ein dortiger Kürsner
Tobaksbeutel verfertigen, von denen ich einige meinen Bekannten zu Ceylon
verehrte. Mit den übrigen machte ich bei unserer Rückkunft nach Holland
Geschenke an die Bürgemeister, die mir dagegen ein Geschenk von tausend
Dukaten machen wollten, das ich nur mit vieler Mühe ablehnen konnte.
Die Haut des Krokodils wurde auf die gewöhnliche Art ausgestopft und macht
nun eine der größten Merkwürdigkeiten in dem Museum zu Amsterdam aus, wo der
Vorzeiger die ganze Geschichte jedem, den er herumführet, erzählt. Dabei macht
er denn freilich immer einige Zusätze, von denen verschiedene Wahrheit und
Wahrscheinlichkeit in hohem Grade beleidigen. So pflegt er zum Exempel zu
sagen, daß der Löwe durch den Krokodil hindurchgesprungen sei und eben bei der
Hintertür habe entwischen wollen, als Monsieur, der weltberühmte Baron, wie er
mich zu nennen beliebt, den Kopf, sowie er herauskam, und mit dem Kopfe drei
Fuß von dem Schwanze des Krokodils abgehauen hätte. Der Krokodil, fährt der
Kerl bisweilen fort, blieb bei dem Verluste seines Schwanzes nicht
gleichgültig, drehete sich um, riß Monsieur den Hirschfänger aus der Hand
und verschlang ihn mit solcher Hitze, daß er mitten durch das Herz des
Ungetüms fuhr und es auf der Stelle sein Leben verlor.
Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, meine Herren, wie unangenehm mir die
Unverschämtheit dieses Schurken sein muß. Leute, die mich nicht kennen,
werden durch dergleichen handgreifliche Lügen in unserm zweifelsüchtigen
Zeitalter leicht veranlaßt, selbst in die Wahrheit meiner wirklichen Taten
ein Mißtrauen zu setzen, was einen Kavalier von Ehre im höchsten Grade kränkt
und beleidigt.
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